
Als ich vor etlichen Jahren begann, Jura zu studieren, war eine der Voraussetzungen die Vorlage eines „Latinums“. Heute ist dieser humanistische Bildungsritterschlag nicht mehr vonnöten, um zu lernen, wie man Recht und Unrecht von Berufs wegen unterscheidet.
Trotzdem begegnet jungen Juristinnen und Juristen Latein auf Schritt und Tritt. Man kann darüber trefflich streiten (und das tun wir Rechtskundigen bekanntlich gerne) ob man kluge Dinge nicht auch in normalem Deutsch formulieren könnte. Aber Sie müssen zugeben: es klingt schon beeindruckender, wenn einer sagt: „pacta sunt servanda“ und eigentlich nur meint, dass man sich an das halten soll, was vereinbart wurde.
Juristen, insbesondere ältere Semester, lieben es, solche römischen Rechtsweisheiten in Diskussionen und Schriftstücke einfließen zu lassen. „Abusus non tollit usum“ schreibt ein Rechtsanwalt da zum Beispiel: Kein Recht darf ignoriert werden, nur weil es mal missbraucht wurde oder „actor sequitur forum rei“, der Grundsatz, nach dem man seinen Gegner grundsätzlich an seinem Wohnsitzgericht verklagen muss.
Nach römischer Rechtstradition sind auch Richter ziemlich selbstbewusst. „Iura novit curia“ heißt es, der Richter kennt das Recht. Gemeint ist damit, dass ihm der Anwalt keine Paragrafen vorbeten soll, die findet er schon selber - wir sollen ihm nur den Fall schildern.
Das Selbstbewusstsein des Richters in römischer Rechtstradition spiegelt genauso dieser Satz wider: „minima non curat praetor“ - um Kleinigkeiten kümmert das Gericht sich nicht. Das römische Recht kannte sogar ein „Schizophrenieverbot“. Es ist danach unter Umständen unzulässig, sich anders zu entscheiden, als man es vorher verbindlich kundgetan hatte, „venire contra factum proprium“. Manche römische Rechtsklugheit ist so banal wie durchschlagend: „ad impossibilia nemo tenetur“, Niemand ist verpflichtet, Unmögliches zu leisten. Das wird der humanistisch gebildetem Waschmaschinen-Servicemann Ihnen vielleicht entgegenhalten, obwohl er Ihnen eigentlich versprochen hatte, die Kiste wieder zum Laufen zu bringen.
Selbst Diebe sprechen ja manchmal ein paar Brocken Rechtslatein, wenn sie zum Beispiel von der Polizei gefragt werden, wo sie Sonntagnacht um halb Drei waren. Sie liefern dann ein „Alibi“ – der lateinische Begriff für „anderswo“.
Wenn wir uns heute in der Welt umblicken, müssen wir die Weitsicht der altrömischen Juristen traurig zur Kenntnis nehmen. „Inter arma enim silent leges“: Unter Waffen schweigen die Gesetze und „corruptissima re publica plurimae leges“ - je verdorbener der Staat, desto mehr Gesetze hat er (Tacitus, Annalen III, 27).
Verblüffend ist allerdings auch, wie pragmatisch die Römer das mit der Gerechtigkeit sahen: „Duobus certantibus tertius gaudet“, wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Das hat sich bis heute nicht geändert. Genau wie „manus manum lavat“: eine Hand wäscht die andere (Seneca).
Außerdem, wer hätte es gedacht: „abducet praedam, qui occurit prior“, die Beute nimmt, wer früher kommt. Für mich steht ein Seneca-Spruch vor allen anderen Rechtsweisheiten: „audiatur et altera pars“, man höre immer auch die andere Seite an!
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